Montag, 31. August 2015

Wie Endometriose die Lebensqualität zu vieler Frauen im Schach hält, und dass zu viele Ärzte nichts von dieser Krankheit wissen



Ja. Halten Sie den Atem an und setzen Sie sich hin. Denn nun packe ich mit einem sehr persönlichen Thema aus. Ein Thema, von welchem ich erst seit ein paar Monaten weiss, dass es mir all die schlimmen Leiden in den vergangenen 26 Jahren verursacht hat.

Ein Thema, welches mich in diesen Monaten so oft hat weinen lassen. Für mich. Für jede Betroffene, deren Bericht ich in Foren gelesen habe. Ein Thema, welches mir in den vergangenen Monaten mit jedem neuen Zyklus noch schlimmere Schmerzen verursacht hat.

Es handelt sich um die chronische Krankheit Endometriose. Bevor Sie weiterlesen, ist mir sehr wichtig zu betonen, dass es sich hier um meine eigenen Erfahrungen und mein eigenes Verständnis über diese Krankheit handelt. (Am Schluss werde ich noch einige hilfreiche Links erwähnen, wo man professionelle und sachliche Auskunft kriegen kann. In der Schweiz vermutet man, dass 10 % der Frauen (in Deutschland redet man von 20%) an Endo erkranken.)

Ich litt zu lange, das weiss ich jetzt! Aber alles hat seinen Sinn. Auch das, dass ich dieses Frühjahr soweit war und endlich "auf den Tisch geklopft" habe: 

Ich entschied, dass ich dem nun ein Ende mache.

Bild von www.baby-und-familie.de 
Aber - ich hole zum besseren Verständnis ein wenig aus.

Endometriose (lat. "Endometrium = Gebärmutterschleimhaut) ist eine chronische Erkrankung der
Gebärmutterschleimhaut, welche die Innenseite der Gebärmutter auskleidet. Diese Schleimhaut wird bei erkrankten Frauen in den Bauchraum ausgestossen. Dort kann sich das Gewebe an verschiedensten Stellen festsetzen (Endometrioseherde):

  • An den Eierstöcken/Eileitern
  • In der Scheide
  • Im Darm
  • Im Gewebe zwischen Enddarm und Scheide
  • In/an der Blase
  • Im Harnleiter
  • selten auch an anderen Organen wie Lungen oder Nerven

Da die Endo-Herde hormonabhängig sind, bluten und krämpfeln sie bei jeder Menstruation, die die Gebärmutter macht. 
Je mehr Herde sich verbreiten oder je nach Örtlichkeit der Festsetzung leidet die Frau weniger oder sehr schlimm unter diesen Krämpfen und inneren Miniblutungen. 
Je nach dem, ob Organe betroffen sind und wie starkt die Endo-Herde sich da hinein verwachsen, um so eher können diese beeinträchtigt werden. Je länger die Krankheit unbehandelt ist, um so schlimmer werden die Symptome. Mit jedem operativen Eingriff entstehen Verwachsungen, welche die Beschwerden leider verstärken. 

Es gibt keine Heilung, ausser die Entfernung der Gebärmutter, was man erst bei Frauen ab 40 Jahren diskutiert. 

Bis dahin ist Frau in einem Teufelskreis, von der Produktion der Endo-Herde, deren Entfernung, Hormon-Einnahmen, bakteriellen Entzündungen, Befall von anderen Organen, Entstehung der OP-Verwachsungen, kurzer Beschwerdenfreiheit nach der OP, neuen Endo-Herden, Verlust vom Arbeitsplatz etc., ausgesetzt.

Die Folgen der Endometriose sind sehr individuell und können sein:
  • starke Mensturationsbeschwerden
  • Rückenschmerzen, Ischiasbeschwerden
  • Diffuse Unterbauchschmerzen 
  • Anschwellen/Blähung des Bauches (sieht aus wie schwanger zu sein)
  • Schmerzen beim und/oder nach dem Geschlechtsverkehr
  • Blut im Urin und/oder Stuhl, Schmerzen beim Wasserlösen oder Stuhlgang
  • Unerfüllter Kinderwunsch
  • Müdigkeit, Schlaffheit, Übelkeit (bis zu Erbrechen), Migräne, Blutdruckprobleme, Herzfrequenzschwankungen
  • psychische Beeinträchtigungen als Folge von Obigem: Melancholie, depressive Stimmungen, Verzweiflung, nicht-verstehen können, sich selbst in Frage stellen, uvm.

Bild von www.apotheken-umschau.de
Viele der Frauen kriegen gesellschaftlich heftige Probleme. Die Krämpfe können Stunden bis Tage der Bettlägrigkeit bescheren. Das Nervenkostüm ist äusserst gereizt und Frau hat oft keine Kraft, auf Anliegen anderer einzugehen. Allein die Fakten, dass sie häufig bei der Arbeit fehlt und den Haushalt zeitweise kaum schafft, sind massiv einschränkend. 

Die Tatsache, dass man zeitweise keine Kraft und Verständnis für die Gedanken und Probleme von Familienmitgliedern (Eltern, Lebenspartnern und falls vorhanden eigenen Kindern) aufbringen kann, hinterlässt auf uns oft den Stempel der "Zicke" oder des "Sensibelchens".

Bei vielen Frauen zeigt sich über Jahre hinweg eine Odysse von Arztbesuchen, operativen Eingriffen und Medikamenteneinnahme. 

All dies zerrt massiv an unseren Kräften, unserer positiven Haltung und schmälert die Lebensqualität massiv.

Am allertraurigsten empfinde ich jedoch, dass sehr viele Partnerschaften deswegen in die Brüche gehen. Weil manche Endo-Frauen den Geschlechtsverkehr (das ist sehr unterschiedlich) oder die Stunden danach kaum ertragen, können sie keine Freude und keine Lust damit verbinden. Auch die Männer frustriert dies, das ist klar. Einige Frauen berichten zwar von sehr einfühlsamen Partnern, die sehr lange auf ihre Frauen eingehen und alles tun, um ihnen das sexuelle Zusammenkommen aber auch den Alltag zu erleichtern. Aber leider sind nicht alle so. Und leider ist es auch bei diesen irgendwann der Fall, dass sie keine Geduld und Kraft mehr haben.

Wenn die Patientin die teilweise körperlich kaum erträgliche Krankheit in einem verständnislosen Umfeld leben muss, kann es zur Hölle werden. Stellen Sie sich vor, wie es ist, wenn Ihre Schwiegermutter verständnislos reagiert, wenn Sie ihr erklären, weshalb sie keine Grosskinder von Ihnen kriegen wird? Oder wenn Ihr Partner resigniert, wenn er mit Ihnen schon X Fehlgeburten durchgemacht hat oder keinen Sex mehr "kriegt"? Wenn Ihre Freunde von Ihren Schmerzen gar nicht mehr hören wollen? Wenn Ihr Chef Ihre Ausfälle nicht mehr zu zahlen bereit ist? Ihre Arbeitskollegen Sie als "Mimose" oder gar zur "Simulantin" abstempeln?

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, wieviel Erleichterung alleine die Diagnose und die richtige Aufklärung über die Krankheit bringen kann. 

Wenn man selber endlich weiss, warum man nicht "normal" funktioniert. Dass man nicht psychisch krank ist, sondern dass die schwachen Nerven ein logisches und nachvollziehbares Symptom von Endometriose ist. Wenn der Partner weiss, warum seine Frau leidet! Wenn die Familie erkennt, dass diese chronische Krankheit "echt" und ernst zu nehmen ist!

Was mich jedoch am meisten schockiert hat, ist die Tatsache, dass die meisten Ärzte - auch Gynäkologen - nichts oder zuwenig über Endometriose wissen.

Dass der Hausarzt die Endo nicht sogleich erkennt, kann man doch nachvollziehen. Er muss als Allgemeinarzt derart viele Symptome und Krankheitsbilder im Kopf haben. Aber es ist leider eine Tatsache, dass sogar Spezialärzte, Gynäkologen, Proktologen und andere Fachärzte der inneren Medizin diese Krankheit nicht kennen!

Die Tatsache, dass keine von uns Frauen genau das gleiche Bild von Symptomen ausweist, macht es auf jeden Fall schwieriger. Die Krankheit zeigt sich sehr individuell. Viele haben nicht mal Beschwerden, obwohl vielleicht sogar schon Zysten oder Adenomyose (Sonderform der Endo nur in der Gebärmutter) vorliegen. Aber warum forschen Ärzte, die auf uns treffen, nicht mehr nach? Erkundigen sich, lassen nicht locker? Warum werden uns Eingriffe über Eingriffe "verkauft", mit welchen wir meist falsch behandelt werden?

Mein Weg hat als 14jährige begonnen.


Damals wurde mir ein bösartiger, über zwei Kilo schwerer Tumor im einen Eierstock entfernt. Der Bauchschnitt galt damals als "modernes Verfahren" und hinterliess eine über 20 cm lange Narbe. Der Eingriff hatte mir mein Leben gerettet und so sah ich es auch. Ich konzentrierte mich aufs Positive, nämlich darauf, ein "Leben" geschenkt gekriegt zu haben. Krebs ohne Ableger und ohne hochgefürchtete Chemo überlebt zu haben. Diese Einstellung gab mir die Kraft zur Tapferkeit! Und um immer wieder aufzustehen.

Die nachfolgenden Beschwerden mit dem Darmtrakt, die starken Migräneanfälle während der Menz und die Anfälligkeit auf andere chronische Erkrankungen (Rheuma) nahmen ihren Lauf. Heute weiss ich, dass wohl schon damals meine Gebärmutter krank gewesen ist (Adenomyose) und ich mit den Verwachsungen aus der OP und den Darmbeschwerden in einen Teufelskreis von schmerzhaften und monatlich wiederkehrenden Krämpfen geriet.

Keiner der Spezialisten in namhaften Spitälern in Zürich und Aarau erkannte "den Hasen im Pfeffer". 

Ich wurde immer weitergereicht. Vom Hausarzt zur Gyn und zum Rheumatologen, zum Proktologen und zurück. Ein Eingriff, eine peinliche Untersuchung nach der anderen. Von vielen Fachpersonen (Ärzten und Krankenschwestern) habe ich ertragen müssen, dass sie mich ausgelacht (!) haben und entschieden, dass ich simuliere und mir die schlimmen Beschwerden ausdenke. Eine Ärztin hat sich nach dem 2. Eingriff (ich war 20ig) entschuldigt, weil man doch eine Zyste gefunden hatte.

Danach hatte ich zum ersten Mal die Nase voll und verlangte mit knapp 20ig intuitiv (im Nachhinein weiss ich, dass ich damals sehr wohl gespürt habe, dass meine Gebärmutter krank ist) die Entfernung der Gebärmutter. Man war schockiert und überzeugte mich in Gesprächen, welch schlimme Folgen dies für mich als Frau hätte. Was bestimmt wahr ist. Die Gebärmutter und die Eierstöcke sind für uns Frauen sehr wichtige Organe, um fraulich und gesund leben zu können. Als 20jährige hätte dies sehr seltsame (v.a. wegen den Hormonen) Folgen für mich haben können.

Aber es war mir egal! Ich wollte diese Schmerzen nicht mehr! Ich wollte normal arbeiten können! Tanzen gehen! Das Leben geniessen!

Bild von www.endometriose-symptome.de
Mit ca. 32 Jahren - nach weiteren unendlichen Arztbesuchen, Untersuchungen, Eingriffen, Hormoneinnahmen und Zuschauen-müssen, wie Partner mich verlassen, forderte ich erneut diesen entscheidenden Eingriff. Diesmal mit weniger Kraft. Denn ich hatte sie nicht mehr. Meine damalige Ärztin wies mich jedoch auch ab. Auch hier ein "Nein", ohne mir Alternativen zu bieten. Ohne korrekte Diagnose. Mit mitleidigem Blick entliess sie mich wieder in den Alltag, zu meinen kräfteraubenden Symptomen.

Letztes Jahr, mit 39ig, erfuhr ich bei einem erneuten Untersuch nach monatlich wachsenden Beschwerden, dass ich meinen tiefen Kinderwunsch endgültig abschreiben kann. Allerdings konnte mir die Ärztin keinen medizinischen Befund als Grund angeben. Sie empfahl mir dieses gedankliche Loslassen aufgrund der "Umstände" und der Tatsache, dass ich seit 25 Jahren nur noch 1 Eierstock habe.

Ich resignierte. Akzeptierte tapfer. Weinte und heulte nächtelang. 

Aber es war gut so. Denn ich liess los. Ich durchlief einen Trauerprozess, der auch Heilung in mir auslöste. Und in mir meine Entscheidung in diesem Frühling einfacher machte. Da ich nun als 40jährige doch offene Ohren bei meinem neuen Arzt erfuhr, war die einzige Lösung zur Heilung - die Entfernung meiner armen, kranken Gebärmutter - jetzt endlich möglich.

Und wie ich mich durch die Gebärmutterentfernung jetzt erst recht als Frau und weiblicher denn je fühle, 

werde ich Ihnen im nächsten Beitrag erzählen. :-)


Liebe Leserin. Diesen Artikel zu schreiben ist mir sehr, sehr schwer gefallen. Denn er bedeutet, dass ich mich "bloss" lege. Dass ich über ein Tabu rede. Über Dinge, die viel mehr Frauen kennen, als uns klar ist; da bin ich mir sicher. Aber wir verstecken dies. Aus Scham. Aus mangelnder Aufklärung.

Während den Monaten zwischen meinem Fahrradunfall (Hirnerschütterung) Ende April und dem gynäkologischen Eingriff Ende Juli habe ich tausende Stunden Zeit gehabt, um mich mit Endometriose und alternativen Möglichkeiten zu befassen. Ich habe die Zeit genutzt.

Und ich wusste eines mit Sicherheit: Ich will alles in meiner Macht stehende tun, um andere Frauen aufzuklären und Mediziner aufzurütteln!

Und da mir das Schreiben liegt und ich diesen Blog betreibe, ist es sehr naheliegend, diese Mittel zu nutzen. Die Zukunft wird zeigen, zu was ich weiterhin noch bereit bin.

Ich hoffe deshalb sehr, Sie ein wenig betroffen gemacht zu haben.

  • Haben Sie sich selber in einigen Symptomen erkannt? Gehen Sie zu Ihrem Gyn und fordern Sie die Abklärungen bezüglich Endometriose/Adenomyose! Hören Sie auf Ihre innere Stimme, lassen Sie sich nicht kleinreden! Fordern Sie ungeniert und völlig gelassen weitere Fachmeinungen. Seien Sie liebevoll und geduldig zu sich selbst. Sie sind vollkommen in Ordnung!
  • Oder erkennen Sie sich als Angehörige, FreundIn oder Partner einer Endo-Patientin? Dann bitte ich Sie um unendliche Geduld und Verständnis. Ich bitte Sie um nie endende Umarmungen für die Endo-Frau. Ich bitte Sie um unendlichen Beistand für meine Leidensgenossin aber auch ihren Partner, auch wenn es "von weitem" und in liebenden, mitfühlenden Gedanken ist! Sie braucht diese unterstützende Energie. Verständnis! Versuchen Sie herauszufinden, auf welche Weise Sie diese Frau entlasten könnten, falls sie es möchte. Im Haushalt, beim Kinderhüten, Einkaufen gehen. Mit einfühlsamen und persönlichen Gesprächen. Mit Mut machen. Mit Respekt und Achtung. Mit aufrichtigem Anlächeln.

Das ist nun die Stelle, um mich bei meiner Familie von Herzen zu bedanken. 

Meine Eltern waren mir in den vergangenen Monaten eine derart starke Stütze und ein unzerbrechlicher Halt, ich kann es nicht besser beschreiben. Auch meine Geschwister waren - jedes auf seine Weise - mir von guten Gedanken bis zu Spitalgängen und guten Gesprächen ein grosses Geschenk. Meine Freunde akzeptierten meinen Wunsch auf Distanz und sind trotzdem noch da. DANKE.

Und für Sie, liebe LeserIn, habe ich nun noch etwas. Eine Bitte.

Teilen Sie hier als Kommentar Ihre Gedanken und Erfahrungen mit. Ich will mit diesem und dem nächsten Eintrag ganz viele Frauen und deren Familien erreichen. Jeder einzelne Kommentar, jede hinzugefügte Erfahrung oder medizinische Ergänzung kann für diese Menschen wichtig sein! Teilen Sie den Artikel. Geben Sie den Link dazu weiter.

Schliessen Sie sich bitte mir an, sich zu zeigen. Für uns Frauen. Zur Aufklärung. Zur Linderung der Beschwerden.

Teilen Sie sich in den Kommentaren mit! Auch Ihre Stimme ist wichtig.


Herzlichen Dank, Ihre Chantal Perrinjaquet

P.S. 

Ab 3. September ist auf iTunes die gesprochene Version dieses Blogs als Podcast-Episode inklusive einem Gespräch mit Anita Haug, welche sich als Endo-Frau zum Interview zur Verfügung gestellt hat. Zu iTunes kommen Sie über den Button oben in der rechten Spalte!

Hier die versprochenen Links (kein Anspruch auf Vollendung, bitte nutzen Sie die Kommentarfunktion für Ergänzungen):